Russland: Erste Schritte

Mit dem Zug von München nach Nowotscherkassk

Russland: Erste Schritte - Mit dem Zug von München nach Nowotscherkassk

11.03.2017 von Felix unter Reisen

Auch wenn vielleicht einige Passagen hier eher negativ klingen, oder insgesamt der Eindruck entsteht, dass alles schlimm war - so war es nicht im Entferntesten. Es war eine wunderbare Zeit, mit unglaublich vielen positiven Eindrücken und Erlebnissen. Ich kann eine Reise in "komische" Gegenden nur empfehlen, solche Erfahrungen macht man sicher nicht in den USA. Oft machen aber gerade auch die Geschichten die einen den Kopf schütteln lassen viel vom Gesamterlebnis aus und interessanter als 1000 Geschichten über schöne Sonnenuntergänge sind sie allemal. Die Berichte sind nicht ganz chronologisch angeordnet, sondern stattdessen thematisch sortiert. Bitte beachtet auch, dass hier der Zustand 2009 erzählt wird. Wie es aktuell aussieht, kann ich nur erahnen.

Der gesamte Bericht ist in vier Teile aufgeteilt: Die Anreise, das Leben, die Städte, die Berge (Kaukasus).


Wer sich außerdem über die Bildqualität auslassen möchte: Damals war ich noch jung und (verdammt) doof, schleppte also dümmlicherweise eine fette Spiegelreflex mit und machte außerdem auch noch ausschließlich JPG-Bilder. Zwei Sünden, die ich heute nicht mehr machen würde.

Vorgeschichte

Schon immer wollte ich Russland, das man eigentlich nur aus Naturfilmen oder Filmen über Niedergang kennt, mit eigenen Augen sehen. Leider war es aber nie allzu einfach nach Russland zu kommen, was unter anderem an der aus europäischer Sicht seltsamen Visapolitik lag.

Die Jahre vergingen und so begann ich zu studieren und nebenbei als Hiwi an einem zu diesem Zeitpunkt recht großen Lehrstuhl zu arbeiten. Ende September 2008 wurde ich dann aus heiterem Himmel gefragt, ob ich nicht binnen zwei Wochen mit dem lehrstuhleigenen Programm, das ich bis dahin noch gar nicht kannte, nach Russland fahren möchte - ein Teilnehmer war abgesprungen. Erwartungsgemäß war das doch etwas zu knapp, aber ich reservierte mir einen Platz für das Frühjahr 2009 mit selbem Ziel. Neben dem Kennenlernen von Land und Leuten sollte außerdem eine Semesterarbeit Teil der Reise sein.

Nun begann zunächst der bürokratische Teil, das heißt Einladung besorgen (ohne die es kein Visa gibt), Visa beantragen, DAAD-Anträge ausfüllen, Semesterarbeit finden und vieles mehr. Ganz alleine war ich dabei nicht: die beiden Damen des Lehrstuhlsekretariats haben viel Arbeit abgenommen. Außerdem war ich nicht alleine unterwegs, sondern mit drei Mitstreitern. Das Ziel des Auslandssemesters war Nowotscherkassk (Новочеркасск), eine Stadt mit damals etwa 200.000 Einwohnern, circa 30km vom Rostov am Don entfernt und damit weit im Süden Russlands gelegen. Um zumindest überleben zu können besuchte ich ebenso wie meine Mitstreiter einen Sprachkurs, letztlich war ich froh bei Reisebeginn die Schrift "lesen" und bis zehn zählen zu können. Mehr konnte ich nicht - dieser "Kenntnisstand" war allerdings unser Durchschnitt.

Die Anreise

Am 03. April 2009 ging es dann tatsächlich los. Wie es sich für eine ordentlich Reise gehört, muss auch die Anreise Teil des Abenteuers sein. Aus diesem Grund, weil man so etwas nicht alle Tage macht und weil ich schon viel über die russische Eisenbahn gehört hatte, entschlossen wir uns mit selbiger zu unserem Zielort zu reisen. Die Buchung über ein Reisebüro in München war erstaunlich einfach, wenn auch zeitaufwändig und auch die Kosten hielten sich im Rahmen. Knapp 60 Stunden waren für die Fahrt angesetzt. Die Zugreise machten wir nicht zu viert, da einer das Flugzeug vorzog, dafür mit jeder Menge Gepäck.

Los ging es direkt am Münchner Hauptbahnhof mit dem Railjet, dem Hochgeschwindigkeitszug der Österreichischen Bundesbahn, wie uns per Lautsprecher alle zehn Minuten stolz verkündet wurde. Ein sehr komfortabler Zug und für die heutige Zeit ungewöhnlicherweise nicht als festgekuppelter Gliederzug. Der Railjet brachte unsere Reisegruppe zügig über Rosenheim, Salzburg, Graz und Wien zur ungarischen Grenze und von dort nach Budapest. Hier war Endstation und der erste Zugwechsel stand an. Dieser klappte trotz fehlender Sprachkenntnisse (Englisch ist auch keine Option) und kurzer Umsteigezeit erstaunlich gut und so saßen wir kurze Zeit später mit unseren vielen Habseeligkeiten im ersten osteuropäischen Zug. Wir hätten gerne auf dem Markt vor dem Bahnhof eingekauft, aber dazu hätten wir Geld gebraucht.

Für die nun folgende Fahrt nach Lvov (Lemberg) hatten wir zu dritt ein Dreierabteil und damit ein wenig Probleme unsere Sachen alle unterzubringen. Im Gegensatz zu deutschen Zügen hat hier jeder Wagen mindestens einen eigenen Schaffner (in unserem Fall weiblich), der auch Snacks und Getränke verkauft, Teppichboden, (frische) Blumengestecke und ein Waschbecken mit Spiegel pro Abteil. Wichtig ist auch der wagoneigene Samowar, der stets heißes Wasser für Tee und Instantgerichte bereithält. Zum Eindruck einer klassischen Zugfahrt trugen neben der im Vergleich zum Railjet sehr gemütliches Geschwindigkeit auch das stete Klackern der Schienenstöße und das gleichmäßige Wanken des Zuges bei. Zu unserer Überraschung mussten wir außerdem feststellen, dass in osteuropäischen Zügen bei Fahrtantritt alle Tickets eingesammelt werden. Warum weiß ich bis heute nicht.


Erschöpft von den Eindrücke des Tages räumten wir am Abend noch auf ungarischem Boden unsere Sachen vom obersten (meinem) Bett auf den Boden und ließen uns in den Schlaf schaukeln.

Kurz vor Mitternacht ging dann urplötzlich das Licht an, keine zwei Sekunden später wurde die abgeschlossene Tür krachend "geöffnet", drei ukrainische Grenzsoldaten drückten sich trotz vollgestelltem Boden mit Maschinengewehr ins Abteil und verlangten die sofortige Aushändigung unserer Pässe. Nach kurzer Realisierungsphase sind wir diesem "Wunsch" nachgekommen und haben so unseren Einreisestempel sowie die dazugehörigen Papiere erhalten. Nachdem unsere Abteiltür wieder fest verschlossen war, schlummerten wir wieder langsam ein.

Keine zehn Minuten später ging allerdings erneut das Licht an und mehrere Personen verlangten durch Schreien und wildes Klopfen unmissverständlich Einlass. Kaum sind wir diesem "Wunsch" nachgekommen, standen auch schon zwei ölverschmierte Bahnarbeiter im Abteil, die versuchten uns in einer Sprache, derer wir nicht mächtig waren, irgendetwas zu erklären. Irgendwann entnahmen sie unseren verständnislos leeren Blicken, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war und begannen fluchend unsere am Boden liegenden Sachen wegzuräumen. Kaum war dies geschafft, wurde der Teppich zur Seite geräumt, eine Klappe geöffnet und der darunterliegende zentrale Drehgestellbolzen entfernt. Jetzt wurde mir auch klar, was die Arbeiter in unserem Abteil suchten. Die Bahnen der östlichen Länder haben keine Spurweite von 1435mm, sondern von 1520mm, ursprünglich um den bösen Deutschen daran zu hindern direkt mit dem Zug bis Moskau zu fahren. Da folglich am Übergang der Spurweiten, also an der Landesgrenze zwischen Ungarn und der Ukraine, die Drehgestelle und Kupplungen getauscht werden müssen, und unser kleines Reich am Ende des Wagens lag, war unser Abteil jetzt eine Baustelle mit Loch im Boden. Ich nutzte die Zeit bis zum Abbruch der Baustelle für Fotos der Tauschaktion, was aufgrund der späten Stunde nur von mäßigem Erfolg gekrönt war.


Irgendwann ging es dann weiter und diesmal auch ganz ohne plötzliche Störungen. Gegen Mittag des nächsten Tages erreichten wir dann Lvov. Im Gegensatz zum letzten Stopp in Budapest (zwei Stunden), hatten wir in Lvov mehr Zeit (sechs Stunden), so dass wir im jugendlichen Leichtsinn entschieden mit vollem Gepäck die sagenumwobene Altstadt zu erkunden. Fünf Stunden und viele Schmerzen später waren wir dann zurück am Bahnhof - ohne die Altstadt zu Fuß erreicht zu haben. Etliche neue Eindrücke waren natürlich trotzdem dabei.

Nach einer kurzen Erholungspause ging es dann in den - unserer Meinung nach - vorletzten Zug der Reise. Diesmal kein ukrainischer Zug, sondern ein echter russischer Zug. Wir hatten ein Viererabteil ergattert, so dass es diesmal mit dem Gepäck deutlich leichter war. So ging es weitere 28 Stunden weiter, während derer wir ein paar russische Kinder und deren Begleitung kennengelernt haben. An der russischen Grenze wurde nur ein vergleichsweise kurzer Stopp eingelegt, während dem wir unsere Papiere erhielten. Dünnstes Papier, das sechs Monate durchhalten sollte.

Hauptziel der Kinder war es, uns irgendwelche russische Wörter beizubringen, so dass die Zeit schnell verging. Mittels Händen, Füßen, Karten und viel Raten seitens der Russen, ermittelten diese unser Reiseziel. Dabei stellten sie fest, dass unser geplantes Umsteigen in Taganrog doch totale Zeitverschwendung sei, weil der aktuelle Zug auch in die Nähe von Nowotscherkassk fahre, nur eben nicht direkt, sondern nach Rostov. Von dort hätten sie schon eine Idee, wie es weiterginge. Unser Einwand, dass wir aber am anderen Bahnhof abgeholt werden würden, wurde nicht akzeptiert. Stattdessen wurden wir darüber informiert, dass man jetzt den Onkel der Kinder kontaktieren und beauftragen würde uns vom falschen Bahnhof in Rostov zum richtigen Bahnhof in Nowotscherkassk zu fahren, weil das so viel praktischer wäre. Unserer eigentlichen Kontaktperson würde man auch Bescheid sagen. Da auch die Zugbegleitung in diesen Plan einwilligte, war die Sache beschlossen. Etwas unsicher stimmten wir dem Ganzen dann letztlich zu.

Tatsächlich erreichten wir mit unserem Zug Rostov und tatsächlich wartete dort bereits ein tiefergelegter Mercedes Vito mit dunklen Scheiben sowie ein Mann in Pelzjacke direkt davor. Wir verluden also unser Gepäck, stiegen ein und los ging die wilde Fahrt. Wir wussten nicht wo wir waren, wohin es ging, sprachen kein Wort Russisch und auch sonst war es eine spezielle Erfahrung zu den Klängen russischen Gangsterraps durch die Nacht zu fahren. Entgegen unserer Vermutung erreichten wir sicher Nowotscherkassk, wo auch tatsächlich unserer eigentliche Kontaktperson mit einem winzigen VW Golf wartete.

Nach einigen Problemen bei der Verladung unseres Gepäcks ging es ein letztes Mal durch die Nacht zum Studentenwohnheim, wo wir bereits erwartet wurden.


Im nächsten Teil geht es um Land und Leute ->Russland Teil 2




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